Nachhaltige Kindermode: Community, Handwerk, Familie
Kristin Maurer stellt hochwertige und außergewöhnliche Produkte her, die gut funktionieren, lange halten und sich reparieren lassen. Handgefertigt in ihrem Atelier in Amsterdam, verkörpern diese Produkte Kristin’s Werte, Community, Handwerkskunst und Familie. In diesem Interview erzählt sie, wie diese Werte ihre Arbeit mit nachhaltiger Kindermode definieren.
Community
Wie entsteht Community durch die Herstellung von Fair-Trade-Kinderkleidung?
Am Anfang hatte ich nur die Kinderlederhosen als Produkt. Die Community ist entstanden, weil meine Kinder irgendwann alle drei diese Hosen anhatten, und aus ihnen herausgewachsen sind. Dann habe ich die Hose erst mal in der Familie weitergegeben, und alle stellten fest: hey, was für eine gute Hose. Als diese Kinder größer wurden, haben sie die Hose wiederum weitergegeben. So haben wir gemerkt, dass sie lange hält, und dass sich alle Leute total freuen, wenn sie so eine alte, gebrauchte Lederhose kriegen.
Auf der Waldorfschule ist es dann zu einem ständigen Weitergeben geworden. Die Mütter haben untereinander gefragt: ist es okay, wenn ich der anderen Mutter die Hose weitergebe? Und ich hab gesagt: ja klar! So sind die Lederhosen an der Schule herumgegangen, und es ist eine Gemeinschaft entstanden, die eigentlich mit Geld gar nichts zu tun hatte. Die Hosen sind da ein Ausnahmefall, es stecken so viele schöne Kindheitsgeschichten in ihnen. Das ist für mich “Fair-Trade Kinderkleidung”, im wahrsten Sinne des Wortes.
Pre-Owned Community durch nachhaltige Kindermode
Aufgrund dieser Erfahrung verkaufe ich auch gebrauchte Hosen, die Kunden mir nach längerer Zeit zurückschicken. Zum Beispiel hat eine Frau vor zehn Jahren, 2014 oder 2015, eine Hose gekauft, die mittlerweile schon ein paar Kinder anhatten. Jetzt hat sie diese Hose zurückgeschickt, und von mir 50% vom ursprünglichen Kaufpreis zurückbekommen. Damit hat sie sich im Webshop ein Handtäschchen gekauft. Seit ich die Hosen auch pre-owned anbiete, merke ich dass diese Hosen auch sofort die ersten sind, die sich wieder verkaufen. Weil sie natürlich günstiger sind, und einfach noch supergut aussehen, auch nach fünf Jahren. Vor allem bei den Hosen hat sich gezeigt, dass es wirklich funktioniert, und dass es Leuten nichts ausmacht, wenn die Hose ein bisschen abgetragen ist, oder dass sie es sogar gerade cool finden.
Waldkindergarten-Mama und Expertin Kristin Wichter (waldkindergarten-tipps.de) hat über unsere Lederhose im Langzeittest einen tollen Artikel geschrieben.
Kommt auch durch dein Angebot der kostenlosen Reparatur eine Community zustande?
Lustigerweise habe ich nur ganz wenig Reparaturen. Ich glaube, die Produkte gehen einfach nicht kaputt. Ich biete jetzt schon seit zwei Jahren kostenlose Reparaturen an, und habe in dieser Zeit vielleicht drei Anfragen bekommen. Aber es gibt schon schöne Geschichten: Zum Beispiel kam vor kurzem ein Mädchen zu mir, deren Vater einen Rucksack gekauft hatte. Die Tochter hat den Rucksack übernommen, weil sie ihn so toll fand. Sie wohnt in der Nähe von Amsterdam und kam mit dem Fahrrad zu mir um zu fragen, ob ich den Rucksack reparieren kann, der war ein bisschen gerissen. Er war wirklich ihr Ein und Alles, sie hat mit dem Rucksack gelebt, hat ihn tagtäglich getragen, ihre ganze Schulzeit lang. Aber jetzt war der Rucksack kaputt, wirklich nichts mehr zu machen. Also hat sie aus dem Rucksack eine Laptop-Tasche gemacht, und mir Fotos geschickt. Echt cool.
Handwerk
Alle deine Produkte sind handgefertigt. Wie hast du das Nähhandwerk gelernt?
Ich habe es vielleicht ein bisschen im Blut. Meine Oma, Luzie, war Damenschneiderin und hatte auch ein eigenes Atelier. Sie hat damit ihr Geld verdient und die Familie ernährt. Im Krieg hat sie immer Kleider gegen Essen getauscht. Ihr Atelier war im Erdgeschoss ihres Hauses, wie bei mir. Ich habe Nähmaschinen mit Ledernadeln von meinen Omas geerbt.
Selbst habe ich immer schon genäht, mein ganzes Leben lang, seit ich ungefähr zwölf bin. Sofaüberzüge, Vorhänge, alles was irgendwie unter die Maschine passte. Ich hatte ein Interesse an Innenarchitektur, hab mein Zimmer immer neu gestaltet. Es war eigentlich alles DIY, ich habe noch nie in meinem Leben einen Nähkurs besucht. Ich hab dann auch ganz andere Sachen studiert, aber immer nebenher genäht. Als Ausgleich zu allem anderen, der ganzen Kopfarbeit.
Nähen mit nachhaltigem Leder
Als ich die erste Lederhose handgefertigt habe, mit Nähmaschine und Ledernadel, habe ich schnell gemerkt, dass die Nähte nicht so gut aussahen. Daraufhin bin ich zum Schuhmacher gegangen, hier in der Pretoriusstraat, und hab ihn gefragt, was ich da machen kann, ob er Tipps für mich hat. Er meinte, ich sollte eine professionelle Nähmaschine kaufen. Und er hat angeboten, mir einen Abend lang zu zeigen, wie seine Ledernähmaschine funktioniert. Das war mein einziger Kurs, einmal nach Arbeitsschluss beim türkischen Schuhmacher. Wir haben zusammen eine Lederhose genäht, und er hat mir die Ins und Outs des Nähens mit Leder erklärt. Dass man die Fäden nach dem Abschneiden noch abbrennen muss. Und dass man Leder, anders als Stoff, bis zu 2 cm ziehen kann, wenn ein Teil zu kurz ist, sodass es am Ende immer passt. Ein paar Tricks, die total Gold wert waren. Ich verwende sie immer noch.
Was ist dir als Handwerkerin am Material wichtig?
Das Material muss mir schon liegen. Je dicker, desto besser. Mir liegen Leder und dicker Baumwollstoff, gröbere Stoffe, die mehr dreidimensional sind. Leder ist ein verlässlicher und hochwertiger Stoff, es reißt nicht, sieht immer gleich gut aus, macht gleich was her. Ich arbeite nur mit Naturmaterialien, Stoffen, die sich gut anfühlen — Qualität ist mir ganz arg wichtig.
Wie hast du die Designs für deine Produkte entwickelt?
Das Design habe ich selbst entwickelt, und bei den Outdoorhosen über Jahre perfektioniert. Ich hatte immer wieder neue Prototypen für meine eigenen Kinder, weil ich wusste, es stimmt noch nicht ganz. Die habe ich dann auch verschenkt: Zieht mal die Hose an und gebt mir nach einer Weile Feedback. So habe ich gemerkt, was noch verbessert werden könnte: Die Weite, noch eine extra Tasche oder einen längeren oder kürzeren Träger… 2012 bis 2015 habe ich das Design immer noch verbessert. Dann war es aber wirklich einmal gut. Seither ist das Design unverändert, und ich habe auch nie Kritik bekommen am Schnitt oder an irgendwas. Die passen. Jetzt bin ich echt froh, dass ich sie so entwickelt habe.
Beim Boxsack ging es etwas schneller. Ich habe manchmal so kreative Nächte, in denen es über mich kommt und ich denke: jetzt entwickle ich ein Produkt. Das ist eigentlich das Tollste am ganzen Prozess. Ich kriege eine Eingebung und denke dann immer wieder: wie könnte ich den Reißverschluss noch an eine andere Stelle setzen? Oder noch eine Naht unsichtbar oder sichtbar machen? Dann arbeite ich mit Trial und Error. Ich zeichne nicht, sondern nähe immer gleich, trenne es wieder auf und nähe wieder ein Stückchen. Beim Boxsack war es eine Nacht, und am Ende der Nacht war ich total glücklich. Ich dachte: Das ist es. Ich habe seither nichts mehr daran geändert.
Bei der Lederhose ging es darum, dass sie passen muss, die Kinder müssen froh sein. Beim Boxsack war es mir wichtig, den goldenen Schnitt zwischen minimalistisch und schön zu finden. Keine zu komplizierten Arbeitsschritte. Das ist ein wichtiger Aspekt bei meinen Produkten. Ich vereinfache die Produkte immer stärker bis zu dem Punkt, wo sie nicht mehr weiter vereinfacht werden können, aber immer noch den gleichen Look haben. Dadurch sind es auch keine anfälligen Nähte. Sie sind entwickelt, um gut zu funktionieren und lange zu halten.
Familie
Wie haben sich deine nachhaltigen Produkte und deine Familie gemeinsam entwickelt und sich gegenseitig beeinflusst?
Meine Produkte sind entlang der Bedürfnisse meiner Familie entstanden. Es kam immer aus dem Bedürfnis, dass ich ein Produkt für meine Kinder wollte, was es nicht im Laden zu kaufen gab. Ein praktisches Produkt, ich bin sehr praktisch veranlagt.
Die Outdoorhosen für Kinder
Als die Kinder klein waren, habe ich gedacht, wir gehen jeden Tag nach draußen und es gibt keine gescheiten Hosen. Ich hatte drei Babys, Zwillinge — da hast du so viel Wäsche, und eine Baumwollhose musst du nach einer halben Stunde schon wieder waschen. Eine Lederhose eigentlich nie. Man kann sie einfach nur abreiben. Und wenn mal etwas wirklich Schlimmes passiert mit der Hose, naja, dann kann man sie mal in der Dusche ausspülen, oder einfach mal völlig unter Wasser einweichen. Die Krippenleiterin hat mir damals begeistert erzählt, dass meine drei Kinder mit ihren Lederhosen immer am schnellsten und längsten draußen waren. Andere Kinder mussten noch eine Regenhose drüberziehen, oder zwischendurch reinkommen, wenn es draußen nass ist…
Meine Kinder wurden eigentlich zu “draußen Kindern”, dadurch, dass sie die Lederhosen anhatten. Wir sind auch als Familie anders geworden, weil wir eigentlich immer draußen waren, und Spaß daran hatten. Das kam schon irgendwie durch die Lederhose. Wenn ich kein Produkt gehabt hätte, mit dem ich eigentlich den ganzen Tag immer draußen hätte sein können, mit den Kindern, wegen Kälte oder Nass oder so, dann wäre unser Leben vielleicht auch ein bisschen anders verlaufen.
Die Rucksäcke
Dann später, als die Kinder vier wurden, kamen sie in die Schule und brauchten wieder ein neues Produkt, nämlich ein Rucksäckchen. Für die Brotdose und die Trinkflasche. Und ich habe wieder geschaut und dachte, es gibt wohl keine gescheiten Kinderrucksäcke, die auf den Boden geschmissen und dreckig werden können und lange halten. Da habe ich den ersten Kinderrucksack aus Leder genäht, für meine älteste Tochter. Passend zur Hose. Und dann dachte ich irgendwann: hey, mein Kind hat so einen lustigen Rucksack, ich will auch so einen Rucksack. So kam ich zum allerersten Mal überhaupt auf die Idee, auch was für Erwachsene herzustellen. Also habe ich mit handgefertigten Lederrucksäcken für Erwachsene angefangen, und später auch anderen nachhaltigen Ledertaschen.
Die Boxsäcke
Später, während der Coronapandemie, waren meine Kinder schon etwas älter. Dann kam der Boxsack dazu, weil die Kinder zu Hause waren und nicht in der Schule, und zu Hause herrschte etwas Stress. Ich hatte eh Leder da, von den ganzen anderen Sachen, und kam auf die Idee, einen Boxsack anzufertigen. Wir hatten drinnen schon eine Sprossenwand und eine Schaukel, und so kam es zum Boxsack. Er wurde komischerweise weniger von den Kindern benutzt und mehr von allen Freundinnen, die vorbeikamen. Aber jetzt, seit meine Tochter 14 ist, boxt sie im Boxclub.
Ich habe auch immer schon versucht, die Kinder ins Business zu integrieren. Ich habe sie schon ganz früh an der Nähmaschine nähen lassen, und gebe ihnen auch jetzt noch einfache Aufgaben. Sie haben zwar nicht immer Lust, aber ich finde dass es dazugehört, wenn die Mutter zuhause ein Handwerk oder einen Betrieb hat. Nach dem Abendessen am Sonntag fertigen wir die Urschuhe an, die Sandalen, das sind ganz viele Schritte — Gummi abschneiden, einfädeln… die Kinder können eigentlich alles machen außer Näharbeiten. Manchmal unter Protest, aber manchmal auch gerne, und sie können damit auch Geld verdienen. Aktuell füllt meine Tochter auch manchmal die Boxsäcke. Eine meiner Tochter näht begeistert, sie will den Betrieb später auch übernehmen. Sie darf auf meiner alten Ledernähmaschine nähen. Es macht mich schon froh zu sehen dass die Kinder gut mit Material umgehen zu wissen. Ist ja auch logisch, sie wachsen im Atelier auf und machen alles mit.